Provokante Konstruktionen

“Text zur Ausstellung Vorarlberger Baukultur
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
20.3.2005”

Über eine Ausstellung, sieben Gespräche und zwei Exkursionen zur Vorarlberger Baukultur.

„Es langweilt zum Teil natürlich auch schon, weil die Geschichte [der Vorarlberger Bauschule] hört man dann hunderte Male. Es gibt dann verschiedene Färbungen. Das einzig spannende daran, ist ob sie mehr oder weniger wahr ist.“
(Carlo Baumschlager, am 8.4.2000 in Ö1, in einem „Diagonal“ über Baumschlager und Eberle.)

Die Chance
Vorarlberger Baukultur in Frankreich zu präsentieren ist eine Sache, dies im eigenen Land zu tun und noch dazu in einem Kunsthaus, provozierte Gegenfragen aus einem größeren Umfeld.

Hat sich die „Konstruktive Provokation“ hier in „Provokante Konstruktionen“ verkehrt ? Schon die markante Ausstellungsgestaltung von Marte.Marte Architekten hat Distanz zu den Erzählungen und Vertiefungen der Ausstellungskörper gezeigt. Ein kunsthaft weißer Sattelschlepper, Synonym für regio-nalen Aufbruch (oder globalisierten Warenverkehr?) und das gleißend flirrende Leuchtstoffröhrenfeld (mit der Heizleistung von 5 Einfamilienhäusern) haben auch Gegenrede provoziert.

Sieben gut besuchte Gesprächsrunden zur Ausstellung „Konstruktive Provokation“* haben im diskur-siven Rahmen des Bregenzer Kunsthauses eine aktuelle Positionierung der Vorarlberger Architektur versucht. Nicht in einer direkten Darstellung, dazu waren die meisten Teilnehmer zu emotional, zu verbunden, zu nahe am Objekt, obwohl sie alle gerade wegen ihrer Distanz zur Vorarlberger Archi-tektur ausgewählt wurden. Kulturwissenschafter wie Hans Haid auf der Suche nach neuem Leben im Alpenraum oder Bernhard Tschoffen („Monolithkultur !“), Künstler wie Franz Gassner auf der Suche nach dem Geistigen in der (Bau)kunst James Joyce zitierend:“ Es ist immer die Frage aus welcher Tiefe die Kunst entsteht“, Gottfried Bechtold über „biedere Holzkisten und Designschaas“ polternd, Hubert Matt, der „ kein Interesse an der Vermessung der Realität“ sah oder der Literat Wolfgang Hermann, der seltsam schwärmerisch blind für das Wesen zeitgenössischer Architektur sich nach dem menschlichen Maß und dem 19. Jahrhundert sehnte, Architekturrezensenten, wie der in München lebende Frank Kaltenbach, der die Vorarlberger Architektur als gesättigte Lösung“ umschrieb.
Sie alle schafften schließlich eine Standortbestimmung auf indirektem Wege: Über Widersprüche und über die spürbare Differenz zwischen dem Gesagten und dem was ist oder war.

  • Die Ausstellung „Konstruktive Provokation“ wird in Folge in Deutschland und Österreich gezeigt. Nächste Station ist ab Juli 2005 das AZW in Wien. Das französischsprachige Original ist bis Ende des Jahres weiter in Frankreich auf Tour.
    Zum Thema: www.kunsthaus-bregenz.at, www.v-a-i.at, www.ausfahrten.com

Als Essenz und Resultat: Eine Handvoll wertvoller Fragen.

1. Woher die Distanz zwischen der Architektur und anderen Kulturträgern ?
Wie entsteht die Polemik der „Stocktrotteln“ und stimmt der beobachtete „Mangel an Realitätsver-messung“? Ist die Verständnislosigkeit eines Literaten wie Wolfgang Hermann oder auch die spontane Attacke eines Christian Mährs auf dem letzten Wohnbauforum nicht auch zugleich ein beispielhaftes und ernstes Signal dafür, dass der Dialog zu Kunst und Kultur abgerissen ist? Wurde die Vermittlung grundlegender Inhalte in diese Richtung versäumt? Dieser Dialog ginge aber deutlich über reine Vermittlung hinaus. Wären nicht aus diesem Diskurs „auf Augenhöhe“ ernstzunehmende und substantielle Gegenfragen zu erwarten?

2. Ist Otto Kapfingers Bild von den „aneinander vorbei rasenden Züge“ ein Problem der Archi-tekturschaffenden oder ein allgemein gesellschaftliches Phänomen? (Siehe oben) Wie gehen wir damit um? Darüber wird auch die Weiterentwicklung der ZV Aufschluss geben.

3. Bedeutet das Abdrehen der überhitzten medialen Aufmerksamkeit einen fatalen „Liebesentzug“ oder die Chance zu einer neuen Vertiefung und neuen Inhalten? Immer wieder wurden in den Diskussionen und auch von den Zuhörern Aspekte der Baukultur eingefordert, die für ein umfassendes Gesamtbild wichtig schienen: Die Rolle der Bauherrn, das Wechselspiel mit dem Handwerk, die Vergeistigung der Baukunst.

4. Welche Ungeheuer müssen hier verdrängt werden, dass ein Psychogramm des Bauens nicht gelingen will? Was setzen wir da eigentlich in die Landschaft? Was sind heute die Motive für das Bauen? Sind industrielle Bauträger und Baumeister mittlerweile näher bei den Bauherren ?

5. Beginnen wir selbst den Bildern zu glauben? Auf ihre Weise hat sich die Vorarlberger Baukultur als Gesamterscheinung erfolgreich gewehrt gegen noch so präzise Zusammenfassungen, Verkürzungen, Verklärungen und letztlich gegen ihre Abbildbarkeit. Es war der Künstler und Theoretiker Hubert Matt, der die Baukunst als eigentlich „choreografische Ereignis“ hingewiesen hat. Architektur und Raum erschließen sich Im Be-Gehen. Diese Unübersetzbarkeit von Architektur ist deutliches Zeichen für ihre Eigensprachlichkeit, die immer wieder unterschätzt wird.
Zwei Exkursionen im Rahmenprogramm haben schließlich mit großem Zuspruch diesen Weg zur Ar-chitektur beschritten: Über die Begehung und die Wahrnehmung von Ort und Kontext. Ein Weg, der von der ZV schon seit den frühen 80er Jahren genutzt wurde mit dem Resultat teils lebhafter Dis-kussionen und einer authentischen Vergegenwärtigung der aktuellen Bauten. Ein Appell zu mehr ge-meinsamen Exkursionen und Baustellenbesuchen im Land.

Dass sich das Original letztlich größer, heterogener zeigt, deutet auf dessen Lebendigkeit. Doch auch als Hinweis, dass aufmerksame Kritik selbst erfolgen muss und nicht von außen kommen kann.

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