Walk on the Wild Side

Text zur Eröffnung des Festspielhauses Bregenz
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
23.6.2006

Text zum Umbau und zur Eröffnung des Festspielhauses in Bregenz

Dreieinhalb Millionen Kubikmeter Sand und Gestein schiebt der Rhein jährlich unweit von Bregenz in den Bodensee. 25 Meter pro Jahr würde sich die Mündung ohne die Rheinvorstreckung nach Lindau schieben. Der See und seine Ufer sind in Bewegung. Nicht nur durch Naturgewalt. Auch die Kieskähne auf denen 1949 das erste Spiel auf dem See stattfand, sind Hinweis auf die beständigen Eingriffe und Korrekturen um die Uferlinie. Kies und See, Bäume und „Baumfrauen“ scheinen sich jetzt in einer sanftherben Rückeroberung wieder um das Festspielhaus zu schieben. Der großzügig ausgedehnte Platz mit sandfarbenem Splittbelag ist viel mehr ein Ausläufer einer wilden Seelandschaft, als einer betulichen, wenn auch liebenswerten Promenade. Und er ist nicht mehr selbst die Mitte, sondern Vorplatz für ein selbstbewusstes Festspielhaus. Entsprechend blendet der frisch ergänzte Baumbestand das Casino und die Bahnanlage aus und bestärkt die sehr eigenständige Atmosphäre, die Landschaft und Vorplatz rund um das Haus entspinnen.

Skulptur und Inszenierung
Die zweite Umbauphase, unter enormen Zeitdruck abgewickelt, hat das Haus spürbar zum gesamtheitlichen Landmark gewandelt. Aus dem vergleichsweise gemütlichen Konzept von Architekt Willibald Braun ist ein durchgestaltetes Raumschiff geworden, das in großen Zügen und betont langen und ruhigen Linien seine Gesamtform zelebriert. Beeindruckend ist die konsequente Integrierung der technischen und funktionalen Ausrüstung in glatte Oberflächen. Sämtliche technischen und gestalterischen Details kehren sich mit hohem planerischem Einsatz nach innen und lassen an den Fassaden und Innenoberflächen nur die reine Form zurück. Was bleibt ist eine futuristische Bauskulptur, die im großen Maßstab des Gebäudes agiert und deren Spiel mit dem natürlichen und künstlichen Licht.

Der zweigeschossige Saalkörper wird im Foyer identifizierbar durch eine konsequente Verkleidung mit schwarzen glasfaserarmierten Betonplatten. Die übrigen Foyerflächen und die kleinen Seminarsäle wurden in strahlend weißem Terrazzo oder weißem Kunstharzbelag ausgeführt.
Für den Benutzer verdichtet sich dieses weiße Nichts nur in den Sälen: Im großen Saal im erdig gedecktem Rot der Stühle, dem sinistren Dunkel der Metallgewebe an der Decke und in schwerem Akazienholz. Der Parkett, ebenfalls aus Akazienholz, wurde nur geölt, auch um den späteren Instandhaltungsaufwand zu minimieren. Der Foyersaal über dem Platz fasst seinen raumhohen Ausblick in hellem Ahorn.
Die Foyerflächen und das Haus werden so selbst zur abstrakten Bühne, deren Bild sich erst durch die Farben und Bewegungen der Besucher vervollständigt. „Eine Öffnung des Hauses nach außen“ war auch das Anliegen von Architekt Much Untertrifaller: „Das Festspielhaus wird zum offenen, kommunikativen Gebäude.“ Es braucht dies auch, um nicht als reines Kunstwerk missverstanden zu werden, was die Architekturfotografie manchmal suggeriert.

Baugeschichte
1978-79 wurde das alte Festspiel- und Kongresshaus nach Plänen von Arch. Willibald Braun jun. errichtet, auf der Grundlage eines gewonnenen Ideenwettbewerbs von 1955, wobei Braun von Beginn an verschiedene Abstriche unter dem Eindruck eines harten Kostenrahmens von 100 Mill. Schilling beklagte. Funktionale Mängel wurden auch von Beginn an kritisiert, führten aber erst Jahre später zu Umbaustudien von Coop Himmelblau und Baumschlager & Eberle, deren Nutzungskonzept 1992 als Grundlage für einen Wettbewerb diente, den Helmut Dietrich und Much Untertrifaller jr. gewinnen konnten.

Zweistufiges Gesamtkonzept
Der Umbau selbst war von Beginn an zweistufig angelegt. Markenzeichen des Konzepts waren zwei langgestreckte Riegel, welche die Landschaft von ineinander geschobenen Baukörpern erschließen und orientieren. Der erste – mit Verwaltung und Aufenthaltsräumen – spannt in aussichtsreichen 15m Höhe 100 m quer über die gesamte Anlage und entstand in der Umbauphase 1995-1997, in der vor allem der unzureichende Bereich der Hinterbühne und der Verwaltung geordnet wurden.

Der zweite Umbau folgt diesem Konzept und fasst das große Saalfoyer in einen zweiten Riegel, der im schon 1997 angelegten Seefoyer beginnt, entlang des Saalkörpers zieht und über dem Eingang als zentrales Zeichen aus der Platzfassade ragt. Die Servicebereiche wurden neu verteilt und der Bühnenturm in seiner Außenform zu einem glatten Kubus beruhigt. Der Zugang erfolgt direkt in der Hauptachse und steigt über eine breite Treppe ins Saalfoyer hoch. Auf Platzniveau erstrecken sich zur linken Seite Garderoben, Café und Künstlerbereiche, zur Rechten sind der Kartenverkauf und Presseräume angeordnet. Oben verteilen sich die Zuschauer wie gewohnt in Saal und Seetribüne. Das Gesamtkonzept konnte das Gebäude aus der funktionellen und gestalterischen Defensive befreien und fasst jetzt erstmals den umfangreichen Komplex zu einer skulptural eindrucksvollen und strukturell schlüssigen Gesamtfigur.

Funktionale Restrukturierung
Die Erweiterung von Seebühne und Kongressbetrieb und die technische Überalterung waren weitere Gründe für die tiefgreifenden Maßnahmen der zweiten Phase. Anbauten und Nebenräume zum Vorplatz wurden komplett abgebrochen, der Konzertsaal und das Foyer auf den Rohbau reduziert. Zur Seebühne wurden ebenfalls wesentliche Teile entfernt, eine zweite Etage mit distinguierten Logen aufgestockt und technisch aktualisiert. Ein großer Teil der Erschließungstreppen wurde ebenfalls abgebrochen und schallentkoppelt neu errichtet. Der gesamte Bauablauf war präzise geplant. Der enge Zeitplan, bei dem bis zu 200 Bauarbeiter zeitweise im Zweischicht-Betrieb beschäftigt waren, hat gehalten. Nach 303 Tagen wird das Bregenzer Festspielhaus am 7. Juli eröffnet* und zwölf Tage später in den Festspielbetrieb gehen.

Haustechnik als größter Investitionspunkt
Zwei Drittel des Investitionsvolumens von 40 Mill. EUR floß in die Erneuerung der Haustechnik.
Die gesamte Bühnentechnik, Gebäudeleittechnik, Lüftung und alle Elektroinstallationen wurden erneuert. Eine Besonderheit findet sich im Aussenbereich bei der Beschallung der Seetribüne. Das BOA (Bregenz Open Acoustics) “Bregenzer Richtungshören“ wird in Begleitung des Fraunhofer Instituts nach ersten Pilotprojekten fest installiert. Eine sogenannte Wellenfeldsynthese wird an jedem Punkt des Zuschauerbereichs erlauben, eine räumlich genau definierte Schallquelle zu simulieren. Jeder der 7000 Zuschauer soll den Troubadour von genau dem selben Punkt der Bühne hören.

Wegbegleiter einer Werkbiografie
Für die Bregenzer Architekten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller bedeutete der Wettbewerbsgewinn für Festspielhausumbau 1992 den Beginn einer Karriere, die mittlerweile – wie etwa auch bei der Erweiterung der Wiener Stadthalle – mit diesen Größenordnungen absolut vertraut ist. Werkbiografisch interessant ist auch die formale Entwicklung, die an den beiden Umbauphasen abzulesen ist. Der „Blitz“, der in Form des ersten Verwaltungsriegels in das Gebäude einschlug, ist noch Konstruktion und strukturierte Gestaltung. Wenn er auf der Platzseite heute wieder austritt, hat er sich in eine abstrakte Raumfigur gewandelt. Makellos, fast dünnhäutig und mit kühlem Selbstbewusstsein positioniert sich die Anlage in der Landschaft und demonstriert in konsequenter Umsetzung und mit staatstragender Eleganz ihre neue Bedeutung.

Robert Fabach

  • Tag der offenen Tür am 8. Juli 2006

[Programm: siehe Pressezusendung von PR-Büro P2-Wolfgang Pendl]