Zwischen Weltmeister und Kistenkrise Der Versuch einer Situationsbeschreibung der Architektur in Vorarlberg.

Text zur Situationsbeschreibung der Architektur in Vorarlberg
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
27.7.2004

Text zur Situationsbeschreibung der Architektur in Vorarlberg

Die Begeisterung
anläßlich der Ausstellung des Französischen Architekturinstitutes in Paris und die „Entdeckung“ der Architektur durch die Vorarlberger Spitzenpolitik, eine wöchentliche Architekturserie und die lautstarke Würdigung eines Architekten in den Vorarlberger Nachrichten haben der Baukultur Vorarlbergs neuerdings ein gutes Stück Aufmerksamkeit gesichert.
Andererseits hört man nicht nur außer Landes eine gewisse Verdrossenheit über die „ewig gleichen Kisten“ und über „einfache gedankliche Konzepte“. Kritik wird aber meist nur halblaut hingemurmelt, denn ihre Verbreitung und regionale Akzeptanz flößen Respekt ein.
Faktum bleibt eine überdurchschnittliche Dichte zeitgenössischer Produktion, technisch durchdacht und wirtschaftlich wettbewerbsfähig. Dabei durchaus wandlungsfähig, wenn man das, was vor 20 Jahren entstanden ist, mit dem Heute vergleicht.
Nein, wir sind hier nicht in der Marketingabteilung eines Automobilkonzerns, wenngleich die Sprache, mit der die Vorarlberger Architektur oftmals beschrieben wird, manchmal daran erinnert.
Immerhin hat sich hier eine Vision der Moderne erfüllt: Architektur steht irgendwo zwischen Produkt und Baukunst, zwischen Dienstleistung und kulturellem Statement und die Entwicklung geht weiter. Doch die Strategie der gestalterischen und ökonomischen Sparsamkeit droht mitunter zum Selbstläufer zu werden:
Nicht alles, was sich rechnet, ein Flachdach hat und keine Fragen stellt, ist gut.

Notwendige Reflexion
Geht es in dieser Situation wirklich nur mehr um Detailoptimierungen, um das „Halten des ersten Platzes auf einer Weltrangliste der Architektur“?
Selbst die Mentoren Friedrich Achleitner und Otto Kapfinger, die nicht müde werden, in Publikationen und Laudatios auf den glücklichen „Sonderfall Vorarlberg“ hinzuweisen, betonen immer stärker die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion, eines inneren Diskurses.

Was ist Architektur, was ist Baukultur?
Auf der Suche nach der Essenz und den Merkmalen von Architektur zeigt sich der Architekt durch die Jahrhunderte immer wieder als zeitkritischer Beobachter und selbstbewußter Interpret seiner Lebenswelt. Natürlich haben Architekten nicht die Welt erfunden, aber durch sie und mit ihnen konnten sich strukturelle, formale und technische Visionen zu einem Ganzen manifestieren. Mag diese Funktion die eines Organisators und Vermittlers, oder die eines genialen Universalisten sein, das Integrierende / Integrative ist dabei ein zentrales Merkmal. Im folgenden soll anhand zweier Betrachtungen kurz erläutert werden, daß das Bauen in Vorarlberg keineswegs isoliert entsteht und eine Diskussion darüber auf vielen Ebenen stattfinden kann.

Kunst als phänomenologische Grundlagenforschung. Kunst als Raumwirkungslaboratorium.
Im Juni wurde bei den Bizauer Gesprächen zum Thema Kunst und Architektur die problematische Kooperation von Künstlern und Architekten diskutiert.
Unerwähnt dabei blieb jedoch, daß Künstler nicht nur als physische Mitspieler, sondern auch über ihr Werk oder ihre mediale Präsenz einen Teil der Erfahrungswelt der Architekten bilden. Diese sind in der Regel nicht nur Produzenten von Architektur, sondern auch aufmerksame Rezipienten von Kunst und Kultur, und wenn Kunst die radikalste Form der Welterforschung, und Architektur die Gestalt – Werdung von Ideen bedeuten, stehen die beiden nicht nebeneinander, sondern sind aufeinanderfolgende Abschnitte eines Gestaltungsprozesses. Architektur bedeutet somit eine Form der Annäherung von Kunst an eine breite Lebenswelt.
Ist die Verweigerung des Begriffes Architektur und der Rückzug auf den allgemeinen Begriff des Bauens, wie mancherorts geübt, nicht auch die Verweigerung der Einflußnahme von Kunst und Gesellschaftskritik? Mal in bewußter Abkehr und Konzentration auf das Unmittelbare, mal als Verdrängung auf der Suche nach breiter Akzeptanz.
Die integrative Intelligenz der Architekten ist es, die sie am Laboratorium der Kunst teilhaben läßt. Es seien beispielsweise die eindrucksvollen Stahlskulpturen Richard Serras genannt, die über Umwege für die eine oder andere Rost-Stahlfassade Pate gestanden haben.
Die Wanderungen bestimmter formaler oder struktureller Phänomene, wie der Faltung oder dem Layering, quer über Kunst, Philosophie, Pop oder eben auch die Architektur zu untersuchen, wäre eine äußerst reizvolle Aufgabe und durchaus auch auf die Formensprachen der Vorarlberger Architekturen der 60er Jahre anwendbar.

Diskurs des Raumes – Über den Versuch Worte zu finden
Der Diskurs über die Architektur, eine in Österreich an sich schon seltene Pflanze, findet in Vorarlberg nur auf verschlungenen Wegen statt. Mit einer ordentlichen Portion Skepsis gegenüber dem bloßen Wort ausgestattet, verschiebt sich die Auseinandersetzung über das Bauen oft auf das Bauen selbst. Um dies nicht als bloße Phrase stehen zu lassen, gilt es, diese Form der nichtsprachlichen Auseinandersetzung genauer zu betrachten.
Der Kunsttheoretiker Wolfgang Böhm hat in seinen kunsttheoretischen Arbeiten wiederholt auf das Thema der nichtsprachlichen Logik, einer Logik der Bilder hingewiesen, die genauso wie die Sprache ihre ureigenen Begrifflichkeiten, Ausdrucksformen und eine ganz spezifische Grammatik kennt. Wer sich von der irrigen Gleichsetzung von Sprache und Denken einmal gelöst hat, wird rasch erkennen, wie komplex und anspruchsvoll ein Diskurs auf dieser Ebene sein kann. Die Logik des Raumes ( der Architektur, des Bauens) erhält so eine ungeheure Vielfalt. So gesehen kann die häufige „Sprachverweigerung“ der Architekten in Vorarlberg als instinktive Abneigung gegen „Übersetzungen“ gesehen werden, ihrer zumeist auch „mit wenigen Worten“ entstandenen räumlichen Statements. Doch Diskurs ist mehr als eine Reihe von Einzelaussagen.
„Hören“ die Bauschaffenden sich überhaupt zu, „wiederholen sich manche bloß“, oder gibt es da und dort echte Repliken, geistreiche Dialoge oder überhaupt neue Gedanken? Es sind Einzelne der neuen, nachrückenden Generation, aber auch etliche Proponenten der klassischen Baukünstler-Generation, die in dieser Hinsicht nachhaltig Stellung beziehen. Eine Deutung stadträumlicher Situationen in dieser Hinsicht könnte ein Einstiegspunkt für die angeregte gesamträumliche Sichtweise sein.

Blick zurück – Historische Entwicklung
In mehreren Wellen hat sich diese Entwicklung vollzogen. Ideen, die von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen ausgehend sich aufgrund einer kollektiven Resonanz verbreitet und weiter entwickelt hatten. Ideen, die einfach in das Land paßten.
„Bestimmte Gedanken haben ihren Ort“ kommentierte dies Friedrich Achleitner und spielt damit auf mögliche Analogien zu den Vorarlberger Barockbaumeistern an. Beispielsweise deren eingeschworenes Sozialgefüge in den Bauhütten, oder deren Erfolg und ihre Verbreitung über den ganzen Süddeutschen Raum, der unter anderem darauf begründet gewesen sei, daß sie einfach die billigsten Handwerker waren und so quasi eine effiziente Form des Barock hervorgebracht hatten.

Inflation der Kisten – Letzte Entwicklungen
Bis in die Mitte der 90er Jahre schien eine große inhaltliche Diskussion kaum notwendig. Es gab zahlreiche offene Wettbewerbe, nur etwa ein Drittel der Büros von heute und ein klares gemeinsames Anliegen, das auch durch eine wachsende Zahl institutioneller Verbündeter mit getragen wurden: „Einfach bauen!“ Mittlerweile ist der Konkurrenzdruck gewachsen, die meisten kommunalen Bauaufgaben erfüllt und mit den Argumenten der Qualitätssicherung und dem Schutz vor einer europäischen Architektenflut, werden die vorhandenen Bauaufgaben zunehmend durch vorselektierte, eingeschränkte Wettbewerbe in einem Kreis von etablierten Büros verteilt.
Mit ein Grund: Eine Reihe relativ ambitionsloser Planungsbüros, aber auch engagierte Zimmerleute und große Bauträger haben die Zugkraft des Labels „Vorarlberger Baukunst“ entdeckt und begonnen, durch die Adaption technischer, vor allem aber auch formaler Merkmale, auf diesen „Markt“ zu drängen. Plötzlich fällt die Unterscheidung schwer zwischen einem Haus von der Stange und einem individuell geplanten durchschnittlichen Entwurf eines „Architekten oder Baukünstlers“. Und die Frage nach dem Unterschied stellt sich zurecht, denn es sollen hier keine Dünkel verbreitet werden gegenüber jener Handwerklichkeit, die einst als großes Ideal des Selbstverständlichen und Anonymen gegolten hat.
Was sind also die Qualitäten, um die es geht, und ist die Gewißheit darüber noch so eindeutig?

Die Architekturinstitutionen – Diskurs oder Informationsarbeit
Die einschlägigen Institutionen an die man sich vielleicht zur Beantwortung dieser Frage wendet, stehen heute im Spannungsfeld von Diskurs und Informationsarbeit. Allen voran das Vorarlberger Architekturinstitut (VAI), das sich mit zunehmenden, durchaus verdienstvollen Aktivitäten vor allem als rühriger Vermittler eines Produkts erweist, gerichtet an ein breites Publikum von potentiellen Bauherren und institutionellen Partnern. Immerhin hat sich das VAI u.a. der monumentalen und lange vernachlässigten Aufgabe verschrieben, dem außerordentlich verflochtenen Thema der Raum- und Siedlungsplanung einen ähnlichen Grundkonsens zu verschaffen, wie es den „Baukünstlern“ mit dem Einzelgebäude an sich gelungen ist. Erwartungen, die hingegen an einen internen Diskurs geknüpft waren, haben sich bislang nicht erfüllt.
Diese inhaltlichen Diskussionen finden auf sehr informeller Ebene in den Veranstaltungen der ZV (Zentralvereinigung der Architekten) statt. Monatliche Treffen, Exkursionen und Vorträge versuchen die unmittelbare Gesprächskultur fortzuführen, wie sie um 1984 während den rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Architektenkammer eingesetzt hatten.
Diese Aufteilung von Informationsarbeit und Diskurs findet in Umkehrung zum übrigen Österreich statt, was auch immer wieder zu Mißverständnissen führt. Die anderen Architekturhäuser mit ihren öffentlich geförderten Budgets richten sich durchwegs direkt an die Architekten und Architekturinteressierte. Bezeichnend für die wirtschaftliche Verankerung des VAI ist auch, daß die Förderungen des Landes für das VAI von der Wirtschaftsabteilung und nicht von der Kultur kommen.

Architekturkritik in Zeiten des Brandings
Mitunter werden PR und Lobbying mit Architekturkritik verwechselt, was sowohl einer gelegentlichen euphorischen Einschätzung einzelner, als auch – nach dem Auslaufen von Roland Gnaigers „Plus – Minus“ im ORF – dem langjährigen Mangel fachlicher Rezension in den regionalen Medien zuzuschreiben ist.
Kritik an der Marke „Vorarlberger Architektur“ – vor allem von außen – könnte leicht als feindselig gewertet werden, doch das kollektive Verständnis einer zunehmend heterogenen Gruppe, läßt auch für die Zukunft auf konstruktive Auseinandersetzung hoffen. Der oben beschriebene Wandel setzt sich fort, vom konspirativen Idealismus der 60er Jahre, über die kollektive Aufbruchsstimmung der Baukünstler bis hin zur heutigen routinierten und zunehmend ästhetisierten Baukultur, die zunehmend vielfältiger geworden ist. Wenn auch die Träger neuer Tendenzen die Gelegenheit nutzen über das Verständnis einer Interessensgemeinschaft hinaus auch inhaltlich zu reagieren, bleibt die Entwicklung auf jeden Fall spannend.

Der ORF setzt seine Reihe Architektur im Gespräch am 6. 11. in Dornbirn fort. Das Vorarlberger Architekturinstitut veranstaltet die Architekturtage vom 24.- 26. Oktober, u.a. mit einem Vortrag des indischen Architekten Sanjit Bunker Roy, sowie das Wohnbauforum 2003 am 13. November in Feldkirch.
Das Kunsthaus in Bregenz konnte begleitend zu seiner Ausstellung von Anish Kapoor, die Architekten Will Alsop, Jan Kaplicky, sowie Peter Cook und Colin Fournier zu Vorträgen einladen. Detailierte Hinweise im Progammteil des Heftes, sowie bei den Veranstaltern.
Eine Übersicht über architekturspezifische Kulturangebote im Herbst und eine Linklliste finden sie auch in den „ausfahrten“ dem Online – Architekturmagazin zum Raum Vorarlberg: www.ausfahrten.com

Robert Fabach@raumhochrosen.com
erschienen in: Kultur Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft Jg. 18, Okt. 2003, Nr. 8, S. 44 – 46