Belebte Substanz. Umgebaute Bauernhäuser im Bregenzerwald

Text zu den umgebauten Bauernhäusern im Bregenzerwald
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
19.5.2015

Ein Lehr- und Schaubuch, herausgegeben von Florian Aicher und Hermann Kaufmann
in Zusammenarbeit mit Wolfgang Huß und Manfred Stieglmeier

Ein Lehr- und Schaubuch, herausgegeben von Florian Aicher und Hermann Kaufmann
in Zusammenarbeit mit Wolfgang Huß und Manfred Stieglmeier

„Wenn wir von alten Häusern sprechen, ist von Bausubstanz die Rede – ganz so, als sei diese Substanz ohne unser Zutun gegeben. Demgegenüber vertreten die Autoren die Auffassung, dass Häuser erst durch unseren Umgang mit ihnen Bedeutung gewinnen. In besonderem Maß gilt das für umgebaute Bauernhäuser; ihre Geschichte und ihr Potenzial werden gegenwärtig, ihr Ort wird zum Kulturraum, ihre stoffliche Präsenz zum sinnlichen Erlebnis. Aus Bausubstanz
wird: Belebte Substanz. Baukultur bedeutet mehr als einzelne Bauten.“

Diese Leitsätze stellen die beiden Herausgeber und Autoren ganz an den Beginn ihres im Juli erscheinenden und sehr lesenswerten Buches, das sich an Fachleute und interessierte Laien richtet. Im Zentrum steht ein kulturelles und baukulturelles Phänomen, das sich in einer problematischen Phase befindet. Das Bregenzerwälderhaus ist im Erscheinungsbild des „Waldes“ so vertraut wie die Kanisfluh. Einfach nicht wegzudenken und scheinbar immer schon da. Doch die scheinbare Vielzahl ist trügerisch. Laufend verschwinden solche Häuser und informierte und aufmerksame Beobachter bestätigen: Gerade gibt es eine Welle von Abbrüchen, auch von stattlichen und gut erhaltenen Bauten. Die Gründe: Unterschiedlich, aber mitunter auch nur der stiere Wunsch nach einem freien Grundstück, um darauf ein Einfamilienhaus errichten zu können. Knapper Grund ist Gift für alte Häuser.

Zu Tode geliebt.
Neben diesen auffälligen Zerstörungen, die immerhin den Mut eines Vatermörders brauchen, um mit der Spitzhacke gegen den Stolz vieler Generationen vorzugehen, gibt es aber auch eine wesentlich größere Schar an Siechenden, denen Unterhalt und Beistand verwehrt wird. Sie stehen ungenutzt oder „unternutzt“ in der Landschaft und verfallen. Freilich gibt es auch jene – und sie sollen nicht unerwähnt bleiben – , die diese Häuser zwar nicht bewohnen, aber in der Substanz erhalten, ein Dach neu eindecken oder zumindest flicken. Die Bürde und der Aufwand ein solches Haus zu erhalten sollen nicht unerwähnt bleiben. Diese Häuser wurden für eine Großfamilie, für Vieh und das Heu eines ganzen Winters errichtet, immer wieder verändert und vor allem regelmäßig erhalten. Schindelschirm, Dach und Fenster haben eine begrenzte Lebensdauer und brauchen, wie Rock und Hose, regelmäßig Erneuerung. Nachdem die bäuerliche Lebensform dazu großteils verschwunden ist und die baupraktische Basis seit mehr als einem Jahrhundert eigentlich historisch ist, sind es Tradition und baukulturelles Bewusstsein, die diese Häuser erhalten. 2-4 Wohn- oder Nutzeinheiten lassen sich heute in diesen Kubaturen unterbringen. Umso mehr erscheint es logisch, diese voluminösen Bauwerke einer nächsten Nutzung zuzuführen. Doch das geschieht nur äußerst zögerlich und widerwillig.

Umbauen als Bekenntnis
Der Architekturschriftsteller Florian Aicher und der Architekt Hermann Kaufmann haben einen Band mit Sanierungs- und Nutzungsbeispielen vorgelegt, der eine gute Balance zwischen kulinarischen Wohnbeispielen und einer systematischen Aufarbeitung dieser architektonischen Aufgabenstellungen leistet. Dass Sanierung auch ziemlich schick und trotzdem eigenständig sein kann, verdeutlicht die dem Bregenzerwald eigentümliche Fähigkeit Modernität und Wertschätzung für das Alte zu verbinden. Das Buch beginnt mit Betrachtungen zur Landschaft und zum „Lebensraum Bauernhaus“. Dass diese manchmal ins Schwärmerische geraten, sei der Begeisterung der Autoren und der Rücksicht auf eine, auch überregionale Leserschaft geschuldet und verziehen. Hermann Kaufmann setzt mit einem „Bregenzerwälder Haiku“ fort: Sechszehn handfeste Ratschläge, die gebotsartig und knapp seinen jahrzehntelang geübten Blick auf diesen Haustypus zusammenfassen. Auf einen etwas beliebigen Aufsatz über die Kultivierung von Landschaft folgen sehr profunde und gut lesbare Ausführungen zu den Eigengesetzlichkeiten von energetisch-thermischen Sanierungen historischer Holzbauten. Schließlich werden im Hauptteil 17 Sanierungsbeispiele ausführlich und durchaus detailreich dargestellt. Eine hochinteressante typologische Übersicht verdeutlicht – vor allem für Fachleute – die möglichen Strategien eines Sanierungsentwurfs. Das ansprechend gestaltete Buch schließt mit einem illustrierten Glossar, der nicht nur Spezifika des Bregenzerwälderhauses, sondern auch die wichtige und aktuelle Fachbegriffe aus dem Baugeschehen leicht fasslich erläutert. Etwas populär wird das Buch durch die Zitate Franz Michael Felders (1839-69), der nicht ruhen darf, sondern als Kronzeuge mit kantigen Weisheiten zitiert wird.

Beitrag in einer breiten Initiative
Die Regionalentwicklungsgesellschaft Bregenzerwald beschäftigt sich bereits seit 2008 aktiv mit dem Thema in der Initiative „Alte Bausubstanz“. Grundlage ist eine Studie, die das Problem der Unternutzung und des Verfalls ins Bewußtsein rückte. Eine Erhebung zeigte die große Zahl von über 300 betroffenen Bregenzerwälderhäusern. Der allgemeine Leerstand, bzw. Zustand der Unternutzung, auch neuerer Bauten, lag bei etwa dem Dreifachen. In einer Eigentümerbefragung wurden exemplarisch die Gründe dafür untersucht. Erste Sanierungsbegleitungen wurden begonnen und eine Fachtagung 2010 rückte die Problematik ins Licht einer breitere Öffentlichkeit. Jene, die den Schritt gewagt haben, sind jedoch sehr froh und schätzen die vielfältige Unterstützung in den rechtlichen, technischen, gestalterischen und auch oft sehr persönlichen und emotionalen Fragen, die mit der Weitergabe dieser Häuser verbunden sind. Ein kompakter Sanierungsleitfaden, der 2013 herausgegeben wurde und Hinweise und Hilfen gibt zu öffentlichen Einrichtungen, Förderungsmöglichkeiten und entsprechend versierten Fachleuten, ist ein hervorragendes Beispiel dafür. (www.altebausubstanz.at / siehe unter „Meilensteine“) Das vorliegende Buch leistet in diesen Bemühungen eine gut lesbare und fachlich fundierte Unterstützung.

„Belebte Substanz. Umgebaute Bauernhauser im Bregenzerwald2
Hrsg. Florian Aicher, Hermann Kaufmann, DVA, 2015