„Baukultur machen Menschen wie du und ich.“ Der österreichische Baukulturgemeindepreis 2012 und seine Ausstellung im vai.

Text zum Baukulturgemeindepreis 2012
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
19.11.2012

Der österreichische Baukulturgemeindepreis 2012 und seine Ausstellung im vai.

Hinter diesem sanftmütigen Wortungetüm, das sich vielleicht verständlicher beschrieben läßt als „Baukulturpreis für Gemeinden“ steht eine Initiative, die 1999 ihren Anfang genommen hat und die 2012 zum zweiten Mal mit diesem Preis außergewöhnlich viele Menschen ehrt. Wenn mancherorts – und mitunter zurecht – Kritik am Personenkult in der Architektur laut wird, an der Selbstbezogenheit ihrer Bauwerke, dann ist der Fokus auf die Baukultur ein logischer und mutiger nächster Schritt, der auf „Blüten“ und „Stilblüten“ verzichtet und die Aufmerksamkeit auf den „Humus“ richtet.
Baukultur in österreichischen Gemeinden ist etwas, das sehr viele Menschen bewegt, beschäftigt und betrifft. Baukultur ist die nächste Größenordnung zu Architektur. Nicht im Sinne der räumlichen Ausdehnung, sondern als nächste gesellschaftliche Dimension. Wenn gute Architektur aus der gelungenen Zusammenarbeit Bauherr – Planer – Handwerk entstehen kann, so braucht die Baukultur einer Gemeinde viele Architekturen, viele gelungene Projekte, viele Bauherren und eine Vielzahl an demokratischen Vertretern, fachlichen Beratern und Mitgliedern einer Verwaltung, um gemeinsam mit vielen Architekten und vielen gelungenen Projekten ein konstruktives Klima in einer Gemeinde aufzubauen.

Was ist Landluft?
Im Jahr 1999 wurde der Verein „LandLuft“ ausgehend von einem Symposion mit dem Ziel gegründet, Studierenden der Architektur das „Land“ als Betätigungsfeld näher zu bringen. Heute sind Architektur und Bauen am Land immer noch zentrale LandLuft-Themen, im Fokus der Aktivitäten des Vereins stehen aber all jene Menschen, die kommunale Baukultur ermöglichen: Menschen wie du und ich.
Im Vorfeld des zehnjährigen Jubiläums entstand die Idee eines Baukulturgemeindepreis, der unter nachhaltigem medialen Echo vergeben wurde und dessen Resultat in einer zwei Jahre lang laufenden Wanderausstellung die Geschichten gelungener Zusammenarbeit erzählten. An rund 30 Ausstellungorten in Österreich, Süddeutschland und Südtirol, in über 4.000 verkauften Katalogen und an mehr als 10.000 Besucher. Mittlerweile wurde LandLuft auch in Deutschland aufgrund eines öffentlichen Wettbewerbs mit einem Forschungsprojekt zur Baukultur im ländlichen Raum beauftragt.

Ein Preis zum Jubiläum: Baukulturgemeindepreis 2009
2009 wurden acht österreichische Gemeinden ausgezeichnet. Darunter die beiden Vorarlberger Gemeinden Zwischenwasser und Langenegg.
Am 8. November wurde in der „wahrscheinlich längsten Preisverleihung der Welt“ aus 33 Einreichungen drei Preise und fünf Auszeichnungen gewürdigt. Nicht weniger als 80 „Sieger“ standen dabei auf der Bühne. Nicht minder umfangreich war auch die Jury mit 15 Personen. Juryvorsitzender Roland Gnaiger und LandLuft-Ehrenpräsident Friedrich Achleitner vergaben die Preise. Der feierlichen Veranstaltung war ein LandLuft-Stammtisch vorausgegangen – sofern man eine Tagung im Palais Eschenbach noch als „Stammtisch“ bezeichnen mag. Dort wurden unter Beteiligten und Interessierten aktuelle Fragen zu Stand und Förderung der Baukultur am Lande diskutiert.

Unter den drei Preisträgern fand sich neben Hopfgarten im Defereggental (Osttirol), Ottensheim (Oberösterreich) auch die Vorarlberger Gemeinde Lauterach. Das 800-Einwohner-Dorf Hopfgarten hatte innerhalb von 10 Jahren sich vom bespöttelten „Dorf ohne Gasthaus“ ausgehend von einem Wettbewerb für ein Feuerwehr- und Kulturhaus zu einer lebendigen Mitte gewandelt, das durch sein Bekenntnis zu einer aktiven Auseinandersetzung mit Ort und Kultur in Folge das Gemeindehaus umgebaut, der Dorfplatz neu gestaltet, Friedhof und Totenkapelle erneuert, landschaftstypische Heuschupfen systematisch bewahrt und eine handwerkliche Kreativgruppe samt Verkaufslokal und eine kleine Kunstgalerie eröffnet. Zu guter Letzt kam nicht der „Onkel aus Amerika“ sondern eine russische Geschäftsfrau, die nahe Hopfgarten Wohnsitz und ein Viersternhotel begründete, dessen Planung in einem Wettbewerb an ein Lienzer Architekturbüro vergeben wurde.
Auch die Gemeinde Ottensheim begleitet eine bewegte Geschichte. Als 1996 das alte Gemeindeamt zugunsten eines Neubaus am Ortsrand aufgegeben werden sollte, formierte sich eine Bürgerbewegung, die so starke Zustimmung fand, dass sie seit 2003 die direkt gewählte Bürgermeisterin stellt und nicht nur einen offenen und von der Straße einsehbaren Gemeinderats- und Veranstaltungssaal im restaurierten Gemeindeamt schaffte, sondern auch eine ausgeprägte Kultur der Partizipation mit der eine Platzgestaltung und auch eine äußerst erfolgreiche Dorfentwicklung, bei der Dorfmitte und Ränder durch einen neuen Flächenwidmungsplan und umfangreiche Rückwidmungen von Bauland gestärkt werden konnten. Jeder mit Gemeindeentwicklung Befasste vermag diese besondere Leistung zu würdigen. Ein lokales Leitbild, der Aufbau neuer Wirtschaftsformen und Gemeinwohlkonzepte bereichert heute ebenso Wirtschaftsleben und das alte Amtshaus. Anfang der 80er Jahre hatten eine Reihe von alternativen Konzepten und kreativen Köpfen in Ottensheim Fuß gefasst. Darunter auch eine Gruppe von jungen Architekten, die verschiedene neue Formen des Wohnens realisierte und aus der auch die heutige Bürgermeisterin stammte.

Die Verdienste Lauterachs um seine Baukultur haben eine lange Geschichte, die der Bauamtsleiter und Kämpfer der ersten Stunde, Erwin Rinderer, zusammenfasst: „Durch einen kontinuierlichen Prozess über Jahrzehnte versuchen wir das Ortszentrum zu stärken“. Bereits 1991 wurde ein Gestaltungsbeirat ins Leben gerufen, um die Ortsentwicklung in geordnetere Bahnen zu lenken. Als begehrte Wohngemeinde zwischen Dornbirn und Bregenz erlebte es seit den 1970er Jahren fast eine Verdoppelung der Einwohnerzahl. Ein Punktesystem, das qualitätsvolles und zentrumsnahes Bauen belohnt, steuert die Nutzung der Grundstücke. Einer Reihe von Einzelinitiativen zur Sanierung und Neunutzung historischer Substanz stehen strukturelle Planungen andererseits gegenüber. 1993 wurden ein Verkehrsentwicklungsplan, 1997 ein Leitbild für die Gemeindeentwicklung erstellt, das eine Dorfmitte suchte. 2001 hat ein Räumliches Entwicklungskonzept zur Einsicht geführt, das es eine Reihe von Subzentren braucht, um die langgestreckte Bebauung an der vielbefahrenen Landesstrasse zu fassen. 2005 hat die Gemeinde diese Idee als Thema für den europäischen Städtebauwettbewerb EUROPAN 8 zur Verfügung gestellt. Die jungen Architekten, die daran teilgenommen haben, haben bestätigt, dass Lauterach auf dem richtigen Weg ist. Jetzt ist eine Reihe von Maßnahmen für die kommenden 20, 30 Jahre geplant, wie forcierte öffentliche Nutzungen der Erdgeschosszonen, Platzbildungen oder ein „Boulevard“.

Unter den fünf Auszeichnungen zum Baukulturgemeindepreis finden sich drei weitere Vorarlberger Gemeinden: Hittisau, das sich durch eine Reihe von kulturellen und wirtschaftlich nachhaltigen Projekten zur Vorbildgemeinde entwickelt hat. Klaus, eine Rheintalgemeinde mit hoher architektonischer Qualität und Röthis, das seine „Vision Dorfmitte“ in gemächlichen, aber konsequenten Schritten umsetzt.
Die Ausstellung im vai – Vorarlberger Architektur Institut zeigt in großformatigen Plakaten 13 Portraits der nominierten und prämierten Gemeinden, die illustrieren, wie unter unter welchen Vorzeichen nachhaltige Räume und Bauten mit gestalterischem Anspruch, ökologischer Verträglichkeit und vielseitigem Lebenswert entstehen.

vai – Vorarlberger Architektur Institut
Marktstraße 3, 6850 Dornbirn
www.v-a-i.at, Tel: +43 5572 51169, Mail: info@v-a-i.at
Geöffnet: 28.11. 2012 – 26.01. 2013
Di-Fr 14-17 Uhr, Sa 11-17 Uhr und nach Vereinbarung
Geschlossen 24.12. 2012 – 01.01.|2013
Eintritt frei!
Publikation: „Baukultur machen Menschen wie du und ich!“, 142 Seiten,
Ein Handbuch für all jene, die in ihrem Umfeld aktiv werden wollen
Bestellung: servus@landluft.at, 19,80 €

Der zweite Baukulturgemeindepreis 2012

Vorstellung Preisträger 2012
Vorstellung Preisträger in V
Ausstellung und Buch.

Robert Fabach, Bregenz 19.11.2012