"Lehm Ton Erde und ihr Beitrag zur Baukultur. Das Glück von Martin Rauch."

Text zum Werk von Martin Rauch

“Lehm Ton Erde und ihr Beitrag zur Baukultur”

“Martin Rauch hat seine Arbeitsmaterialien – Lehm Ton Erde – unbeirrbar durch verschiedene
Zeitströmungen und Moden geführt. Seine künstlerisch handwerkliche Tätigkeit positioniert er seit 1986 innerhalb der Vorarlberger Baukultur, zuletzt auch im internationalen Architekturdiskurs. Er tat und tut dies mit wachsendem Gewicht, denn die Unbeirrbarkeit und die praktische Kompetenz, die sichtbar hinter seinen Projekten und seinem Auftreten stecken, überzeugen. Sie nähren sich aus der Erfahrung eindrucksvoll realisierter Objekte und einem „Bündnis“ mit dem elementarsten Bau- und Gestaltungsmaterial, das die Menschheitsgeschichte kennt: Erde.
Seine Mission, seine große Motivation scheint in der vielschichtigen Stimmigkeit dieses Materials begründet. Eine Stimmigkeit, die jene stille Freude auslösen kann, die wir Glück nennen. Das Beglückende, das er mit diesem Material verbindet, beschrieb er 2013 in einem Interview über sein eigenes Haus folgendermaßen: „Das Stiegenhaus hat so viel Energie in sich, dass ich das manchmal, wenn ich die Stiegen auf oder ab gehe, als Erlebnis empfinde.“ „Ich merke, das Stiegensteigen über drei Stockwerke macht mir nichts. Diesen Input an Energie, den spürt man in diesem Haus.“1 Heute lehrt Martin Rauch als Honorarprofessor am UNESCO Lehrstuhl „Earthen Architecture“ gemeinsam mit Anna Heringer an der Architekturfakultät der ETH in Zürich.

Martin Rauch, 1958 in Schlins geboren, war 1974 mit 16 Jahren nach Stoob ins Burgenland gegangen, um die dortige Fachschule für Keramik und Ofenbau zu besuchen. Nach bestandener Aufnahmeprüfung studierte er 1978 bis 1983 an der Meisterklasse für Keramik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien bei Maria Bilger (1912-97). Eine überaus eigenwillige und heute vergessene Keramikerin und Bildhauerin, deren künstlerisches Schaffen und Denken dem jungen Keramiker Basis für zahlreiche Resonanzen bot. Ihr singuläres Werk beschreibt Friedrich Achleitner als „umfassenden Weltentwurf, den die Generation nach Picasso, Matisse und Miró unternahm, um vor allem die frühen Kulturen der Menschheit mit den Augen und dem Bewusstsein des modernen Menschen wieder zu entdecken und zu verarbeiten. Die radikale Horizonterweiterung hatte sich aus der Linearität der ausschließlich am Fortschritt orientierten Moderne ausgeklinkt, um sich an der Substanz alter Kulturen neu zu messen.“2 In dieser Beschreibung steckt ganz viel von dem Zugang mit dem der junge Künstler aufbrach. Maria Bilger emeritierte 1982 und Martin Rauch erstellte seine Diplomarbeit bei Matteo Thun: Statt, wie erwünscht, ein postmodernes Tee-Service, wurde das Thema eine breit angelegte Studie über neue Gestaltungsmöglichkeiten im Lehmbau mit dem heute emblematischen Titel „Lehm Ton Erde“. Dieser vielschichtige Zugang zwischen Kunst, Handwerk und ökologisch gesellschaftlicher Ambition zeichnet bis heute seine Arbeit aus, die ihn von der gebrannten Keramik zum ungebrannten Lehm geführt hat.

Lehm. Bereits in seiner ersten Publikation 1988, führt er die Grundzüge seiner Argumentationen aus, mit denen er sich bis heute um die Rehabilitierung des Lehmbaus bemüht. Denn das Potential und die Geschichte dieser Bautechnik sind selbst Fachleuten oft unbekannt und dabei mehr als eindrücklich. Beinahe die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Bauten aus Lehm, sogar die chinesische Mauer – Symbol für Macht und Dauerhaftigkeit ist unter ihren punktuellen Steinverkleidungen aus Stampflehm gebaut. Lehmbauten sind nicht feucht. Vielmehr sorgt die hohe Fähigkeit zur Wasseraufnahme für ein ausgezeichnetes und ausgeglichenes Raumklima. Nicht zuletzt wegen dieser raumklimatischen Konstanz wurde die Innenverkleidung des vorarlberg museum in Bregenz mit Lehmputz verkleidet, oder auch die Wände des Kräuterlagers des Bonbonherstellers Ricola in der Schweiz aus massivem Stampflehm erbaut. Auch Holz verträgt sich ausgezeichnet mit Stampflehm, denn seine Gleichgewichtsfeuchte ist generell trockener als anliegende Holzbauteile. Er nimmt Feuchtigkeit auf, trocknet aber wieder vollständig aus, wenn Konstruktion und Baudetails materialgemäß ausführt werden. Schlagregen erodiert seine Oberflächen und verleiht ihm seine besondere Patina. Eine entsprechende Materialstärke und Abdeckungen lassen ihn Jahrzehnte bestehen und er kann ohne Schwierigkeiten ergänzt und repariert werden. Er zerfällt, wenn er abgebrochen wird, einfach zu Erde. Darin steckt ein Teil dieser Stimmigkeit, die dieses Material so menschenfreundlich, so human macht. Das Baumaterial kann aus der Umgebung, im besten Fall sogar direkt aus der Baugrube gewonnen werden. Zu einer bestimmten Konsistenz versiebt und versetzt mit natürlichen Zuschlagstoffen wie Ziegelsplitt, Schotter oder Strohhäksel wird er eingefärbt, verfestigt oder mit einer im Grunde modernen „Faserbewehrung“ versehen. Der Aufbau in einzelnen Schichten mit unterschiedlichen Zuschlagsstoffen eröffnet besondere Gestaltungsmöglichkeiten. Im Unterschied zu Beton wird er bald wieder ausgeschalt und trocknet ohne Form. Martin Rauch beschreibt die hohe Nachhaltigkeit mit Blick auf das Ganze. Bei keinem Material sei der Kreislauf von Gewinnung, Verarbeitung und Wiederverwendung so kurz und geschehe mit so geringem Einsatz von Primärenergie. Aus der Grube über eine einfache Aufbereitung mit Wasser in die Form. An der Luft getrocknet und ohne Rückstände wieder zu Erde.

Wissen um das Einfache. Das technische Wissen und die Baudetails sind zahlreich und raffiniert. Durch die einfachen, oft archaischen Mittel, die für dieses Handwerk eingesetzt werden, wird es oft unterschätzt. Der Umgang mit sehr unterschiedlicher Konsistenz des Ausgangsmaterials braucht viel Erfahrung und widersetzt sich scheinbar jeder Normierung.
Ähnlich wie der Holzbau vor rund 50 Jahren ringt der Lehmbau mit dem Nimbus des Primitiven und dem Verlust von handwerklichem Fachwissen, bzw. fehlenden Ausbildungsstätten. Lehmbau wird, von jüngsten Ausnahmen abgesehen, an keiner Schule gelehrt. Ihm fehlt die Lobby, die das Material in nationalen Förderungsstrukturen, in den gesetzlichen Bestimmungen und in der als seriöses Baumtaterial verankern würde. Ähnlich dem Holz war auch der Lehmbau eine gängige, da kostensparende Praxis beim Bau von Notwohnungen in der Zeit nach beiden Weltkriegen. Doch der rasch wachsende Wohlstand wollte gezeigt werden und technische Neuheiten und industrielle Leistungen galten als Maßstab des Fortschritts. Rasch verschwand er als Technik für Neubauten und bereits 1956 wurde eine kurz zuvor eingeführte Norm im Bauwesen ersatzlos gestrichen. Dieser Entwicklung sollte man sich bewußt sein , wenn man kopfschüttelnd den Verlust des Lehmbaus in vielen Entwicklungsländern beklagt. Weltweit werden dort Lehmbauten von billigsten und klimatisch unzureichenden Bauten aus industriellen Werkstoffen ersetzt. Für den Anschein von scheinbarem Wohlstand leiden Millionen von Menschen zwischen dünnwandigen Stahlbetonbauten oder einschaligen Ziegelwände und Wellblechdächer, während traditionelles handwerkliches Wissen verloren geht.

Verbündeter der Baukulturen. Martin Rauch hat die meisten seiner Lehmbauten in Kooperation mit Architekten umgesetzt, die seine Fertigkeiten und seine Materialsprache in Bauwerke umsetzen. Es spricht für Martin Rauchs umfassendes Materialverständnis, daß mit dem reichen Potential dieses Werkstoffs im Lauf der Jahre und Jahrzehnte so unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten und Ambitionen, auch Moden bedient wurden. Waren es zu Beginn, die Suche nach ökologischen und alternativen Baustoffen im Selbstbau und die Begeisterung für handgemachte Kachelöfen in vielen Einfamilienhäusern der Vorarlberger Baukünstler, wandelte sich ab den 1990er Jahren die Verwendung hin zu ästhetischen und klimatisch funktionalen Innenwänden nach immer strenger werdenden architektonischen Konzepten. Die individuelle Struktur und Farbigkeit von Stampflehmschichten oder die lebendige Tonigkeit von Lehmputzen ergänzten sich ähnlich wie die natürliche Textur von unbehandelten Holzoberflächen mit minimalistischen Raum- und Materialkonzepten. Der kämpferische Ausdruck des mit eigenen Händen Selbstgemachten wandelte sich zum Minimalismus und zur bereichernden Ästhetik der Oberfläche.
Dann, 2005-2008, erfolgte der Quantensprung mit dem eigenen Haus, das die eigene künstlerische Arbeit mit der herausragenden Architektur des Schweizer Architekten Roger Boltshauser verband und viele Stereotypen eines Vorarlberger Architektur-Pops hinter sich ließ. Über die damals dominante minimalistische Ästhetik der Architektur hinaus war plötzlich eine künstlerische und konzeptionelle Dimension präsent. Die Vergänglichkeit des Stampflehms brachten zugleich eine Dimension der Zeit und der Kontemplation in die neue Plastizität dieser Architektur.
Die breite Palette von spezifischen Entwicklungen spiegelt sich auch in einer Reihe von Kooperationen und Subunternehmen, die Keramikfliesen, Lehmöfen oder Stampflehmkonstruktionen herstellen.

Vorwärts zu den Wurzeln. Zur gleichen Zeit nahm Rauchs Werkstatt im Vorarlberger Schlins wieder zu internationalen und entwicklungspolitischen Fragen des Bauens Stellung. Initiativen wie BaseHabitat der Kunstuni Linz unter Prof. Roland Gnaiger thematisier seit knapp 10 Jahren in einer Form der Selbstbesinnung einen gleichberechtigten Austausch zwischen mitteleuropäischen Architekturfakultäten und den Opfern der baukulturellen Kolonialisierung in der zweiten und dritten Welt. In die hartnäckige Wiederbelebung von nachhaltigen Technologien, wie den Lehmbau wurde auch Martin Rauch einbezogen. Eine Rückkehr, hatte doch der junge Rauch bereits als Entwicklungshelfer in Afrika diese Technologie dort für sich entdeckt. Die Basis dieser Architekturbewegung wird breiter. 2014 wurde bereits die zweite „Summer School on modern Earthen Architecture and Bamboo Constructions“ veranstaltet, an der internationale Lehmbau- und Bambusspezialisten sich über die aktuellen Entwicklungen mit einem ebenso internationalen Teilnehmerkreis austauschten.

Heute tragen beide Entwicklungsschritte seiner Arbeit und der Arbeit seiner auf rund 15 Personen angewachsenen Werkstätte Früchte. Einerseits durch eigene Projekte, andererseits durch fachliche Beratung, wie bei einem Schulgebäude in einem südafrikanischen Township (Projekt Living Tebogo, 2005) oder beim Schulgebäude in Rudrapur, Bangladesh (2005-2006) der deutschen Architektin Anna Heringer, das mit dem international renommierten Aga Khan Award ausgezeichnet wurde. Zusammen mit Anna Heringer, Nägele-Waibel Architekten und Salima Naji gewann Martin Rauch den Wettbewerb für eine Schule für nachhaltige Entwicklung in Marakesch. Das Projekt wurde mit dem Holcim Awards Bronze 2011 Africa Middle East ausgezeichnet. Beeindruckend ist ebenfalls der prominente Einsatz von Stampflehm beim derzeit in Fertigstellung befindlichen Bau des King Abdulaziz Center for World Culture in Dhahran, Saudi Arabien, in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Architekturbüro Snøhetta.

Zuletzt erfolgte die international wahrgenommene Eröffnung des Kräuterzentrums für Ricola mit den Schweizer Architekturstars Herzog & de Meuron. Der Debatte, ob Lehmbau jetzt der neue Öko-Chic geworden ist, entzieht sich der betriebsame Schlinser durch die Chance den Lehmbau an der renomiertesten Architekturschule Europas zu lehren, und durch konzeptionelle und praktische Experimente, die Studierenden mit der Zukunft eines elementaren Werkstoff vertraut zu machen. Die Fragen der Zeit und des aktuellen Architekturdiskurses scheinen in diesem elementaren Material Antworten zu finden.

Link: www.lehmtonerde.at

1 Aus Erde gebaut. Isabella Marboe im Gespräch mit Martin Rauch, Kunst und Kirche Nr. 3, Wien 2012
2 Friedrich Achleitner, ORIS Nr. 30, Zagreb 2004

Robert Fabach, Bregenz, 9.2.2015

Bio
Martin Rauch
geb. 1958
1974 Fachschule für Keramik und Ofenbau, Stoob.
1978–83 Hochschule für angewandte Kunst, Wien. Meisterklasse für Keramik bei Prof. Maria Bilger bis 1982, 1982-83: Prof. Matteo Thun,
1983 Diplom „Lehm Ton Erde“, Würdigungspreis des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung.
Seit 1990 Konzeption, Planung und Realisierung von Lehmbauprojekten im In- und Ausland.
1999 Firmengründung Lehm Ton Erde, Baukunst GmbH.
2007 Firmengründung ERDEN Lehmbau GmbH,
2012 Firmengründung Lehm Ton Erde Schweiz GmbH
Entwicklung und Realisierung von vorgefertigten Stampflehmprojekten. Einzel- und Gruppenausstellungen, 1988–2010 u.a. Feldkirch, Meran, Paris, Graz;
Unzählige Preise und Auszeichnungen u.a. 2008 Internationaler Preis für nachhaltige Architektur Fassa Bortolo Italien, 2008 Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs, 2011 Holcim Award – Schule für nachhaltige Entwicklung in Marokko und 2012 Reddot Design Award – KuQua Keramik-Fliesen im Zusammenarbeit mit KARAK. www.karak.at Bayerischer Staatspreis
für besondere gestalterische und technische Leistungen im Handwerk,
Ernst A. Plitske Preis 2014
2003 bis 2010 Lehrtätigkeit an der Kunstuniversität Linz. Internationale Workshops u.a. in Bangladesch, Südafrika und Österreich in Zusammenarbeit mit BASEhabitat.
Seit 2010 Honorarprofessor des UNESCO-Lehrstuhls „Earthen Architecture“.
Seit 2014 Gastprofessor ETH, gemeinsam mit Arch. Anna Heringer

Abdulaziz Centre

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EFH Rankweil

Haus Rauch

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KUB Olavur Eliason

Lehmkuppel ETH

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